Die Kreuzinschrift

Einer kirchlichen Überlieferung nach wurde das Heilige Kreuz im Jahr 325 von Flavia Iulia Helena Augusta, der Mutter des römischen Kaisers Konstantin, zusammen mit drei Nägeln von der Kreuzigung und der Kreuzesinschrift (Titulus) in Jerusalem entdeckt und der größte Teil des Fundes nach Rom in ihren Palast gebracht. Helena vermachte diesen Palast mit dem Namen Sessorium später der Kirche, so dass daraus die Basilika Santa Croce in Gerusalemme wurde. Dort soll bei Umbauarbeiten 1492 die Reliquie mit der Hälfte der Inschrift und dem Siegel von Papst Lucius II. wiederentdeckt worden sein. Seitdem wurde sie als Originaltitel des Kreuzes Jesu gezeigt. Am 29. Juli 1496 erklärte Papst Alexander VI. sie mit der Bulle Admirabile Sacramentum für echt.  Die Holztafel besteht aus Nussholz und ist mit drei Zeilen beschrieben. Die erste Zeile enthält sechs nur teilweise erhaltene hebräische Buchstaben. Besser erhalten sind die zweite und dritte Zeile mit der griechischen und lateinischen Inschrift, deren lesbare Wörter lauten:


  • ΙϹ•ΝΑΖΑΡΕΝȢϹΒ (IS•NAZARENOUSB);
  • I•NAZARINVSRE


Das Holz der Tafel ist von Insekten und Pilzen zerfressen. 1998 untersuchte der Historiker und Fachjournalist Michael Hesemann den Gegenstand und datierte den Schrifttyp der Inschrift in das 1. Jahrhundert.  

Hesemann publizierte zunächst über UFOs und paranormale und pseudowissenschaftliche Themen. Seit 1997 schreibt er hauptsächlich populärwissenschaftliche Bücher zu christlichen sowie zeit- und kirchengeschichtlichen Themen. Hesemann stellte seine Ergebnisse in einer Privataudienz auch Papst Johannes Paul II. vor. Sieben Paläographen dreier israelischer Universitäten, Maria-Luisa Rigato und der Papyrologe Carsten Peter Thiede bestätigten die Datierung des Schrifttyps. Andere Forscher hingegen bestreiten die Echtheit der Tafel und halten Hesemanns Untersuchungsmethode für nicht beweiskräftig. Neuere Untersuchungen mit der Radiokarbonmethode ergaben eine wahrscheinliche Entstehung der Tafel zwischen dem späten 10. und dem frühen 12. Jahrhundert.


INRI (auch I.N.R.I. oder J.N.R.J.) sind die Initialen des lateinischen Satzes Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – „Jesus von Nazaret, König der Juden“. Dieser Satz stand nach Joh 19,19–22 auf Hebräisch, Griechisch und Latein auf einer Tafel, die der römische Statthalter Pontius Pilatus oben am Kreuz Christi anbringen ließ, um den Rechtsgrund seiner Verurteilung anzugeben. Die öffentliche Bekanntgabe der Schuld eines Hingerichteten entsprach damaligem römischem Brauch. Da die Römer jüdischen Vasallenherrschern das Tragen des Königstitels damals verboten hatten und der Ausdruck „König der Juden“ im Neuen Testament (NT) nur in Aussagen von Nichtjuden auftaucht, gilt der Titel als Anhaltspunkt für ein historisches Todesurteil, das Jesus durch einen impliziten oder expliziten Messiasanspruch provoziert haben kann.


Joh 19,19-22: Pilatus ließ auch ein Schild anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazaret, der König der Juden. Dieses Schild lasen viele Juden, weil der Platz, wo Jesus gekreuzigt wurde, nahe bei der Stadt lag. Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst. Die Hohenpriester der Juden sagten zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.


Die entscheidende Frage für Historiker und Theologen ist, welchen Anspruch Jesus selbst erhob, der das Todesurteil des Pilatus auslöste. Denn in den NT-Versionen des Verhörs Jesu durch Pilatus bezeichnet Jesus sich nirgends wörtlich als „König der Juden“. Laut Mk 15,2 (Lk 23,3) antwortet Jesus auf Pilatus’ direkte Frage „Bist du der König der Juden?“ mit „Du sagst es“. Hätte Pilatus dies als Schuldeingeständnis verstanden, dann hätte er sofort Jesu Hinrichtung befehlen müssen. Stattdessen bot er nach dem Kontext Jesu Freilassung an, weil er nicht von seiner Schuld überzeugt war. Jesu Antwort wird daher auch als Distanzierung („Das sagst du“) oder als Aufforderung („Sage du es, urteile selbst“) gedeutet.[9]


Nach Joh 18,36–38 antwortete Jesus: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier. Auf die Rückfrage des Pilatus: Also bist du doch ein König?  antwortet er: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Damit weist er den Vorwurf eines politischen Machtanspruchs zurück. Demgemäß betont Pilatus gegenüber den Anklägern: „Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen.“

Nach allen Versionen ließ Pilatus Jesus dennoch nicht frei, sondern gab den fortgesetzten Forderungen der sadduzäischen Tempelpriester und ihrer Jerusalemer Anhänger („Kreuzige ihn!“) schließlich nach. Demnach betrieben diese also Jesu Hinrichtung. Sie protestierten nach Joh 19,21 bei Pilatus gegen dessen Kreuzestafel: Jesus habe nur behauptet, der „König der Juden“ zu sein. Dies weist auf den vorher geschilderten Prozess oder das Verhör Jesu vor dem Sanhedrin zurück. Dessen Todesurteil wird in Mk 14,61-62 mit Jesu Antwort auf die Messiasfrage des Hohenpriesters begründet:  Er aber schwieg und gab keine Antwort. Da wandte sich der Hohepriester nochmals an ihn und fragte: Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? „Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“

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