Das Atrahasis Epos

Das Atraḫasis-Epos erzählt von einem Konflikt zweier Parteien der sumerischen Götter. Es wurde von einem unbekannten Dichter wahrscheinlich um oder vor 1800 v. Chr. verfasst. Hauptthemen sind die Trennung von Himmel und Erde im kosmischen Urgewässer, die Erschaffung eines ersten Paares von Menschen, die den Göttern als Arbeitssklaven dienen und die Geschichte einer gewaltigen Flut, die das Epos jedoch nicht als Naturkatastrophe, sondern als göttlichen Plan zur Wiederbeseitigung der inzwischen massenhaft vermehrten Menschheit darstellt. Die Erzählung wurde um 1200 v. Chr. zunächst vom Autor des Gilgamesch-Epos übernommen - die Flutkatastrophe fast wortwörtlich. Die Bibelforschung nimmt an, dass die Autoren des Alten Testament ebenfalls Bezug auf den mythisch-epischen Bericht jener Katastrophe nahmen. Von dem Epos sind nur Bruchstücke von Tontafeln in verschiedenen Museen erhalten.

Eine der ältesten Kopien umfasst drei solcher Tafeln, die heute im British Museum in London aufbewahrt werden:


Tafel 1: Als die Götter noch wie die Menschen arbeiten mussten (inuma ilu awilum = Als die Götter Menschen waren), gab es Streit zwischen den oberen Anunnaki und den Igigu, den niederen Göttern. Letztere hatten die Aufgabe, die Versorgung des Landes durch das Anlegen von Bewässerungskanälen zu sichern, wofür sie die Flüsse Euphrat und Tigris schufen. Die oberen Götter hingegen hatten die Herrschaft inne und teilten die Welt unter sich auf. Die Igigu fühlten sich benachteiligt. Sie hielten ihre Arbeit für zu schwer und rebellierten gegen oberen Götter. Nachts umzingelten sie die Wohnstatt von Enlil, den sumerischen Hauptgott. Enlil war überrascht und rief nach Anu (Stadtgott von Uruk) und Enki (sumerischer Weisheitsgott). Nusku – Sohn und Botschafter Enlis – versuchte mit den aufständischen unteren Göttern zu verhandeln, jedoch ohne Erfolg. Daraufhin ließ Enlil die Muttergöttin Nintu rufen und verlangte, dass sie Menschen erschaffen solle. Nintu erklärte, dass sie nur mithilfe von Enki in der Lage wäre, einen Menschen zu erschaffen. Enki stimmte zu, schuf dann das Wesen Widimmu, indem er Lehm vom Boden der Steppe nahm, ihn mit etwas göttlichem Blute sowie kosmischem Wasser (Abzu) mischte und in seine lebendig werdende Form brachte. Die Muttergöttin legte diesem Geschöpf einen Tragekorb an und befahl ihm, dass es von nun an für die Götter zu arbeiten habe.

Hier gibt es leider eine Textlücke, in der beschrieben worden sein könnte, wie aus Widimmu ein Mann und eine Frau (gemacht) wurde. Dies würde allerdings konträr zur biblischen Schöpfungsgeschichte stehen, wonach die Frau (Eva) aus einem Körperteil (Rippe) des Mannes (Adams) gemacht wurde.


1200 Jahre später hatten sich die Menschen derart vermehrt, dass sie mit ihrem Lärm die Götter störten. Enlil war empört und befahl dem Unterweltgott Namtar einen Teil der Menschen mit Frostfieber auszurotten. Doch Enki warnte seinen Priester Atraḫasis und riet ihm, keine anderen Götter, sondern nur noch Namtar anzubeten. Namtar war davon so geschmeichelt, dass er aufhörte, die Menschen zu töten.


Tafel 2: Nach weiteren 1200 Jahren hatten sich die Menschen weiter ungehemmt vermehrt und es waren so viele geworden, das Enlil nicht mehr schlafen konnte. Er schickte er den Wettergott Adad und 1200 Jahre später die Fruchtbarkeitsgöttin Nisaba, um das Land auszudörren und die Ernten vertrocknen zu lassen. Doch Enki verriet seinem Priester Atraḫasis jedes Mal, was dagegen zu tun war. Man opferte nur noch Adad und Nisaba, die anderen Götter ließ man hungern. Adad und Nisaba waren davon aber so beschämt, dass sie ihr Unterfangen einstellten. Der erboste Enlil verfügte nun, dass eine gewaltige Strafe die gesamte Menschheit dahinraffen sollte. Dieses mal ließ er jedoch Enki vor den anderen oberen Göttern schwören, nicht mehr mit den Menschen zu sprechen. Anschließend versammelte er die Götter, um die Sintflut zu entfesseln.


Tafel 3: Enki jedoch ging erneut zu seinem Priester Atraḫasis und wartete, bis dieser sich in seiner Schilfhütte zum Schlafen hinlegte. Um nicht direkt gegen sein Versprechen an Enlil zu verstoßen, erzählte Enki, Atraḫasis, scheinbar zur Schilfwand sprechend, was er tun solle. „Trenne dich von deinem Haus, baue ein Schiff, verschmähe dein Hab und Gut, rette dein Leben“. Das Schiff sollte würfelförmig und auch von oben wasserdicht verschließbar sein. Enki verbot Atraḫasis jemandem von der kommenden Flut zu erzählen und ausreichend viele Fische und Vögel für sieben Tage mit in das Schiff zu nehmen. Atraḫasis begann also mit dem Bau des Schiffes. Als Adad die Wolken versammelte und die Winde begannen über die Welt zu brausen, stiegen er und einige besondere, ausgewählte Menschen in das Schiff und versiegelten die Einstiegsluke mit Erdpech. 

Hier gibt es wieder eine Textlücke, die aber mit den entsprechenden Passagen aus dem Gilgamesch-Epos gefüllt werden kann.


Nachdem die Arche an dem Berg Nisir gestrandet ist, sendet Uta-napišti (der Name von Atraḫasis im Gilgamesch-Epos) nacheinander drei Vögel aus, eine Taube, eine Schwalbe und einen Raben. Der Rabe kehrte nicht zurück, und so wusste Utnapištim, dass das Land wieder begehbar war. Atraḫasis stieg aus der Arche und opferte den Göttern. Doch Enlil blieb nach wie vor wütend auf Enki, da dieser mit seinem Rat einigen Menschen geholfen hatte, die große Flut zu überleben. Um Enlil zu besänftigen, ordnete Enki an, dass die Menschen von nun an sterblich sein und schon von Geburt an Leid und Tod kennen sollten, dass es unfruchtbare und unberührbare Frauen geben solle und somit die Vermehrung der Menschen reguliert werde. Daraufhin schloss Enlil Frieden mit Enki.


Der Berg Nisir ist angeblich der heutige Berg Pir Omar Gudrun (ca. 2743 m) in der Nähe im irakischen Kurdistan.

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