Im Henochbuch finden sich apokalyptische Schilderungen, wie in der Johannesoffenbarung und im Danielbuch, sie sind jedoch deutlich älter als diese. Die Offenbarung wird meist auf etwa 95 n. Chr. datiert, Daniel auf 167 v. Chr. Das Henochbuch ist somit die älteste bekannte apokalyptische Schrift. Das Buch handelt einerseits von Henoch, der während seines irdischen Daseins in den Himmel entrückt wurde (Die Entrückung des Henoch) und dem so alle himmlischen und göttlichen Geheimnisse offenbart wurden, andererseits vom Fall der Engel. Henoch wird als Prophet dargestellt, der eine Vision vom kommenden Gericht empfängt. Warum wurde das Buch Henoch nicht in den biblischen Kanon aufgenommen? Gibt es ein geheimes Wissen, das die Kirche ihren Gläubigen vorenthalten wollte? Das apokryphe Henoch-Buch beginnt mit einer Warnung an die Menschheit, dass Gott alles Leben auf Erden durch eine große Flut vernichten werde. Als Strafe dafür, dass sich die „Gottessöhne“ – damit sind die Engel gemeint – mit den irdischen Frauen, den „Menschtöchtern“, vermählt hatten und dadurch das Geschlecht der blutrünstigen Riesen gezeugt wurde. Eine mögliche Interpretation könnte sein, dass das äthiopische Henochbuch damit einen außerirdischen Ursprung der Menschheit beschreibt. Henoch schildert, was auf seiner Himmelsreise zu den Engeln passiert ist. Er erzählt von einem feurigen Wagen, möglicherweise ein Raumschiff. Unter Annahme dieser Prämisse ist es denkbar, dass das äthiopische Henochbuch aus der Bibel gestrichen wurde, weil es die außerirdischen Ursprünge der Menschheit dokumentiert. Früher ein ketzerischer Gedanke, heute dürfen nach Einschätzung des Vatikans gläubige Christen auch an die Existenz von Außerirdischen glauben. Die Annahme, dass es andere Welten und Lebewesen gebe, auch höher entwickelte als den Menschen, stelle nicht die göttliche Schöpfung infrage.
Insgesamt existieren drei verschiedene Sammelwerke mit Henochüberlieferungen:
1. Das äthiopische Henochbuch („Erster Henoch“)
2. Das slawische Henochbuch („Zweiter Henoch“)
3. Das hebräische Henochbuch („Dritter Henoch“)
Die Ursprache des Buches war aramäisch oder möglicherweise hebräisch. Das äthiopische Henochbuch ist jedoch vollständig nur in äthiopischer Sprache erhalten. E s wurde ca. 500 n. Chr. auf der Grundlage einer griechischen Übersetzung des hebräischen oder aramäischen Originals ins äthiopische übersetzt. Fragmente dieser ältesten außerbiblischen Henochüberlieferung wurden 1948 zusammen mit anderen Werken in den Höhlen von Qumran gefunden, und zwar in aramäischer Sprache, ein möglicher Beleg dafür, dass Aramäisch wahrscheinlich die Originalsprache darstellt. Dass der Text erhalten wurde, verdankt das Buch der äthiopischen orthodoxen Kirche, in der es sogar zum Maßstab der äthiopisch orthodoxen Religionsausübung gehört.
Aufbau des äthiopischen Henochbuchs:
1-36 Buch der Wächter (Mitte 3. Jh. v. Chr.)
1-5 Rede über das Geschick der Sünder und Gerechten (Vision)
6-16 Der Fall der Engel (Vision)
17-19 1. Himmelsreise Henochs
20-36 2. Himmelsreise Henochs
37-71 Bilderreden (vermutlich spätester Teil; frühestens 1. Jh. v. Chr.)
37 Einleitung
38-44 1. Bilderrede
45-57 2. Bilderrede
58-69 3. Bilderrede
70-71 Abschluss
72-82 Astronomisches Buch (Mitte 3. Jh. v. Chr.)
83-91 Buch der Traumvisionen (Tiervision um 164 v. Chr.; Mahnungen jünger, ca. 1. Jh. v. Chr.)
83-84 Vision über das Sintflutgericht
85-90 Tiervision
91 Ermahnungen
92-105 Das paränetische Buch (Zehnwochenapokalypse als ältester Teil aus Zeit der hellenistischen Reform; Rest jünger)
92 Henochs Weisheitslehre
93,1-10; 91,11-17 Zehnwochenapokalypse
93,11-105 Ermahnungen
106-108 Anhänge: Wunder bei der Geburt Noahs; Mahnschrift an Methusala
Im Buch der Wächter wird vom
Engelfall
(Kapitel 6–16) berichtet. Das Buch der Traumvisionen berichtet über den Beginn der Menschheitsgeschichte (85), ebenfalls über den Fall der Engel und das Gericht durch die sieben Erzengel (86–88), die Sintflut (89,1–9), von Noahs Tod bis zum Exodus (89,10–27), von der Wüstenwanderung, die Gesetzgebung und die Landnahme (89,28–40), von der Richterzeit bis zum Tempelbau (89,41–50) und von der Reichsteilung bis zur Zerstörung Jerusalems (89,51–67) etc.